Im Haus der Architekten in Wiesbaden diskutierten am 2. Dezember Fachleute aus Stadtplanung, Architektur, Forschung und Kultur über das Leitbild der sogenannten produktiven Stadt. Anlass war ein DesignDialog des Stadtmuseums sam, in dem Möglichkeiten erörtert wurden, wie Arbeiten, Wohnen und kleinteilige Produktion in Innenstädten wieder stärker miteinander verwoben werden können.
Was bedeutet produktive Stadt
Als produktive Stadt wird eine urbane Form verstanden, in der Handwerk, Kleingewerbe und urbane Landwirtschaft zentralen Raum erhalten und nicht strikt von Wohn- und Freizeitbereichen getrennt bleiben. Befürworterinnen und Befürworter sehen darin kürzere Wege, resilientere Quartiere und eine größere soziale Mischung. Diskussionsteilnehmende hoben hervor, dass dieses Modell nicht nur städtebauliche Folgen hat, sondern auch ökonomische und soziale Herausforderungen adressiert.
Argumente und Vorschläge aus der Diskussion
Francesca Ferguson, Stadtforscherin und Leiterin der Berliner Initiative Make_Shift gGmbH, beschrieb die produktive Stadt als Antwort auf mehrere gleichzeitige Probleme. Ihrer Einschätzung nach kann das Modell dem Fachkräftemangel im Handwerk entgegenwirken, dem Verschwinden von Kleinbetrieben aus Innenstädten begegnen und nachhaltigere urbane Nahrungsmittelproduktion fördern. Sie empfahl, Erdgeschosse und Innenhöfe gezielt für Kleingewerbe zu öffnen und Leerstände mit zeitlich begrenzten Nutzungen und Pop up Leases aktiv zu nutzen, um kleine Betriebe zurück ins Zentrum zu bringen.
Constanze Paffrath, Abteilungsleiterin Städtebau im Stadtplanungsamt Wiesbaden, betonte die Relevanz des Themas für die kommunale Planung. Aus ihrer Sicht folgt eine nachhaltige Stadtentwicklung dem Leitbild der europäischen Stadt. Die zentrale Aufgabe bestehe darin, Strategien zu entwickeln, die ein gerechtes und nachhaltiges Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen ermöglichen.
Der Karlsruher Stadtplaner Philipp Krass sagte voraus, dass Innenstädte sich von reinen Konsumorten zu Orten des Austauschs wandeln werden. Er sieht Bildung, Kultur und verträgliche Produktion als mögliche Nutzungen, die nachrücken könnten, während Handel an Bedeutung verliere. Gleichzeitig müssten sich Wohnquartiere auf mehr Homeoffice und temporale Nutzung einstellen, was neue Anforderungen an Infrastruktur und Klimaanpassung mit sich bringe.
Torsten Becker vom Vorstand der Architektenkammer Hessen wies darauf hin, dass eine zukunftsfähige Innenstadtplanung vernetzte, interdisziplinäre Ansätze erfordere. Gute Planung könne politische Ziele vermitteln und Akzeptanz schaffen, sie sei deshalb eine Gemeinschaftsaufgabe von Verwaltung, Planung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
Folgen für Wiesbaden
Die Diskussion richtete explizit Blick auf Wiesbaden: Wie lassen sich Leerstände kreativ nutzen, welche Rolle spielt das Handwerk und wie lassen sich Quartiere klimafreundlich umgestalten. Teilnehmende und Besucherinnen nahmen die Veranstaltung als Hinweis darauf, dass Stadterneuerung mehr als ein rein ökonomisches Konzept ist und soziale sowie kulturelle Aspekte stärker berücksichtigt werden müssen.
Vernetzung und Ausblick
Das sam sieht den DesignDialog als Plattform für Vernetzung und öffentliche Debatte. Die Direktorin des Museums kündigte an, dass der Dialog 2026 im Rahmen der World Design Capital 2026 Frankfurt RheinMain fortgesetzt wird. Vorgesehen ist ein temporärer »Vierter Raum« im Erdgeschoss eines Gebäudes in der Langgasse, in dem Projekte aus Wiesbaden und Umgebung präsentiert und öffentlich zugänglich diskutiert werden sollen. Die angekündigten Formate zielen darauf ab, die Frage nach einer Innenstadt jenseits reinen Konsums weiterzuführen und konkrete Projekte anzustoßen.
Quelle anzeigen

